R.E.M. Konzert am 19.07.2003 in Wiesbaden

Setlist: Zugabenteil: R.E.M. ist in diesem Sommer nach längerer Pause mal wieder auf Tour gegangen. Den Auftakt machten die drei Jungs aus Athens in Europa, und erst im Spätsommer/Herbst geht es in die Staaten. Auch Deutschland stand auf dem Tourplan, allerdings mit nur vier Konzert. Sie spielten in Berlin, Hamburg und München. Setzt man die Reihe der wichtigsten Metropolen Deutschlands im Geiste fort, dann fallen einem wahrscheinlich Köln, Stuttgart oder auch Frankfurt ein. Der tatsächliche Konzertort des vierten und letzten Gigs in Deutschland ist immerhin in der Nähe der Main-Metropole: es war die etwas verschlafen Landeshauptstadt Wiesbaden. Vielleicht war es ja die Kulisse des sogenannten Bowling Green, einer großen Grünfläche mitten in der Stadt, welche die Band anlockte. Das Konzert wurde auch von mehren Kameras mitgeschnitten und Michael Stipe teilte mit, dass just dieses Konzert ausserwählt worden war, um in einem Tourfilm verwurstet zu werden. Seine augenzwinkernde Erklärung für Wiesbaden: die Band hatte den Regisseur und die Produzenten des Films gefragt, welches wohl der beste Ort für einen Video--Konzertmitschnitt sei, und die haben gesagt: "Wiesbaden". Der wirkliche schöne - wenn auch relative kleine - Konzertplatz ist an drei Seiten von historischen Gebäuden gesäumt: Vor Kopf findet sich das Kurhaus (ist Wiesbaden eigentlich Kurort?), links der Bühne das Theater und rechts der Bühne befindet sich das Casino - woraufhin Stipe verriet, dass er sich nichts aus Glückspiel mache, aber Bandkollege Mike Mills könne am Blackjack-Tisch schon mal die Bank sprengen.
Der Konzertort bot also gute Voraussetzungen für ein feines Open-Air Erlebnis, und auch das Wetter spielte mit: Keine Wolke trübte den Himmel und die Sonne beschien die Teilnehmern anfänglich noch recht erbarmungslos, so dass die Getränkestände sich nicht über mangelnden Absatz beklagen konnten. Die beiden Vorbands vertrieben einem zwar ganz nett die Wartezeit, waren aber kein wirklicher Knaller. Die erste spielte ziemlich gitarrenlastig und ohne Sänger scheinbar ständig die Anfangsmelodie von "Bonanza" - nun ja, nicht wirklich, aber der Sound war doch sehr Western-mäßig angehaucht. Mehr als höflichen Applaus gab es dafür nicht. Auch die nächste Band, die immerhin halbwegs bekannte "Blumfeld" Combo aus Hamburg, bekam nur recht müdes Klatschen, was der Sänger regelmäßig mit einem "Danke Schön" kommentierte, welches völlig überrascht darüber klang, dass überhaupt wer klatschte. Beim ersten Mal war das noch ganz witzig, später ging es auf die Nerven, zumal der Herr im weiteren auch noch recht überheblich rüberkam.
R.E.M. ließ sich bis kurz vor neun Zeit mit dem Auftritt und betrat dann ganz unspektakulär die Bühne - kein Loch im Boden oder Seiteneingang, kein Vorhang der fiel o.ä.. Die Bühne war im übrigen recht klein und frei von jeglichem Firlefanz. Keine Videowände, keine Konfetti-Werfer, keine Feuerwerksinstallation. Nur ein paar altmodische Glitzerwände mit stilisierten Bildern der verblieben drei Bandmitglieder sowie drei Leuchtbuchstaben, welche die Message " Luv" knallrot herausleuchteten. Auch sonst beschränkte sich das Konzert angenehm auf das Nötigste. Im Ganzen sechs Musiker waren auf der Bühne, die Kernband wurde verstärkt durch einen Drummer, einen Bass-Gitarristen und einen weiteren Saiten-Artisten, der bei Bedarf auch die Keyboards bediente.
Wer jetzt meint, mit diesen bescheidenen Mitteln ließe sich keine gute Show abliefern, der irrt. Die Band lieferte ein gut gelauntes Bild ab und bot musikalisch eine Leistung vom Feinsten. Beim betreten der Bühne trug Stipe einen türkisfarben Anzug, dazu Cowboyhut und Sonnenbrille. Fast schien es, als wollte er sich in diesem Aufzug abschirmen, aber im Laufe des Konzertes entledigte er sich immer weiteren Teilen seiner Rüstung. Der Hut flog als erstes, dann die Sonnenbrille, später das Sakko, dann noch die Krawatte. Das Hemd behielt er an (was bei einigen Konzert der Tour nicht der Fall war, wovon man sich auf der offiziellen REM Seite im Netz überzeugen kann), lüftete es aber im Zugabenteil mehrfach - eine etwas unmotivierte Geste, und es ist fraglich, ob es die weiblichen Fans wirklich gefreut hat. Auch Mike Mills zog das schreiend Orange Sakko über dem quitschgelben Hemd nach ein paar Songs aus, blieb dann aber dabei. Einzig Peter Buck blieb modisch unauffällig in einem verwaschenen, vielleicht mal rotem Hemd.
Auch wenn Stipe sich immer wieder bemühte, seine Bandkollegen mit in den Mittelpunkt zu rücken, war es letztlich seine Show. Und die zog er gut ab. Stimmlich in hervorragender Verfassung setze er die Songs sehr emotional--betont um. Sie wirkten lebendiger als auf den Alben, obwohl die Arrangements nur wenige Experimente enthielten.
Die Songauswahl (Stipe schleuderte nach jedem Lied einen Teil der Setlist ins Publikum) ist wohl eine Vorschau auf das im Herbst erscheinende Greatest Hits Album der Band. Natürlich haben sie es nicht nötig, noch neue Alben zu produzieren, aber ein bisschen enttäuschend ist es ja schon, dass die Band sich scheinbar schon aufs Altenteil zurückzieht (wo sie wirklich noch nicht hingehören). Außerdem riecht ein "Best of" Album mit zwei neuen Songs im Weihnachtsgeschäft doch arg nach Geldmacherei - hoffen wir, dass nur die böse Musikindustrie Schuld daran hat.
Also "Best of 1988 bis 2003" soll das Album enthalten, und dass gab es denn auch auf dem Konzert. Ein wirklich guter Querschnitt durch das Schaffen der Band in den letzen 15 Jahren, seit sie dem Major Label Warner unter Vertrag sind. Natürlich war dieses Werkschau garniert mit einigen "Vor 88" Frühwerken, so durfte "The One I love" natürlich ebensowenig fehlen wie der bekannte Rausschmeißer "It's the End of the world as we know it".
Auch die weniger erfolgreichen Alben "New Adventures in Hi-Fi" und "Up" (letzteres gerne zu unrecht von der Kritik als kopflastig verschrieen) wurden bedacht. Die beiden "New Adventure"-Songs wurden übrigens laut Stipe gespielt, weil sie auf der Bandhomepage gewünscht wurden - das hörte sich im Falle von "So fast so numb" beinahe an wie eine Entschuldigung (Sorry, wir wissen keine Sau kennt das Lied, aber es wurde halt gewünscht), was völlig unnötig war, da gerade dieser Song Stipe eine der besten Leistungen des Abends entlockte. Abgesehen vom noch halbwegs eingängigen "What's the frequency Kenneth?" verzichtet die Band glücklicherweise auf Stücke von dem verunglückten Grunge Experiment "Monster".
Allzu textsicher war das Wiesbadener Publikum beim mitsingen nicht - man hatte durchaus den Eindruck, dass viele so manchen Song zum ersten Mal hörten - aber egal, mitgeswingt wurde trotzdem. Bei den im Radio durchgenudelten "Losing my Religion" oder "Man on the Moon" war das Publikum aber natürlich dabei.
Zwei Songs des Abends war zwangsläufig unbekannt, eben weil es die neuen Dreingaben zu dem "Greatest Hits" Album sind. Beide neuen Songs ("Bad Day" soll als Single herauskommen, zu der das Video schon abgedreht ist) konnten gut gefallen - keine Experimente, viel Gitarren und Erinnerungen an bekannte Klassiker der Band.
Ein Song fehlt seltsamerweise auf der Setlist, die auf REMHQ.com veröffentlicht wurde. Ein Frühwerk, das die Band laut Stipe erst zweimal auf Konzerten gespielt hat, und das sich auch noch deutlich nach Garagen-Collegeband anhörte - aber das recht schwungvoll durchaus Ohrwurm- und Gute Laune Qualitäten hat. Dieser Song heißt "Permanent Vacation". Als die Band nach gut zwei Stunden schon abtrat, versprach sie ein baldiges Wiederkommen - man darf gespannt sein. Als die Bühne eigentlich schon geräumt war, drehte Stipe sich auf dem Absatz um und sprang mit drei raschen Schritten zurück in die Mitte der Bühne, um dort eine "La Ola" Welle durch das Publikum zu starten. Einen kindischen Spaß schien er daran zu haben, und es passte zu der guten Laune, die der Abend verbreitete.