Mensch Herbert!

Setlist: Mensch Herbert! Letztes Jahr tauchte Herbert Grönemeyer mit "Mensch" wieder in den deutschen Hitparaden auf, und wie. Nach vier Jahren Pause räumte das neue Studioalbum Preise wie Sand am Meer ab und verkaufte sich sensationell. Die Tour zum Album startete auch schon im letzten Jahr. Als Promo für die Platte war die Tour wohl nicht nötig, das hat wohl eher was mit der Bühnenaffinität des Künstlers Grönemeyer zu tun. Auch die Tour startete schon letztes Jahr, und viele Konzerte waren im Null-Komma-Nix ausverkauft. Die Termine in 2003 waren nur noch dünn gesät, und im Falle von Gelsenkirchen als "Open Air" ausgewiesen.
Das Wetter an dem Sonntag Nachmittag war sommerlich warm, aber für echtes Open Air Feeling ist die Arena "Auf Schalke" selbst mit offenem Dach zu geschlossen. Die Vorgruppe Lock Down Project – LDP abgekürzt – konnte nicht wirklich überzeugen. Gerappe mit Flamenco Gitarre, das war kein prickelnder Stilmix sondern eher Krach. Gerüchten zufolge ist Herbies Nachwuchs in der Band aktiv, was denn wohl erklärt, wie sie den Job bekommen haben. Zum Glück gaben die vier Jungs sich mit knapp einer halben Stunde Spielzeit zufrieden. Vor dem Hauptevent des Abends schloss sich das Arena Dach unverständlicherweise, am Supersonnenwetter kann es nicht gelegen haben. So wurde man um das letzte bisschen Open Air Feeling in der Hütte gebracht, zum Glück wurde es wenigsten nicht stickig dadurch. Den Sound hat das geschlossene Dach jedenfalls nicht gefördert, der war eher mies. Aus den Boxenbatterien neben der Bühne kam zwar ein gewaltiger Schalldruck, aber der Klang des Ganzen war eher matschig. Aber egal, wer wird meckern wenn die Stimmung stimmt und die Mucke gut ist – und das war Gott sei dank der Fall.
Gegen 20.30 betrat Herbert nicht etwa die Bühne sondern entstieg direkt dem Publikum auf einen Steg, der ihn dann schließlich zur Bühne brachte, wo seine Musiker zunächst hinter einem Vorhang werkelten. Der Opener des Konzerts war "Blick zurück" und danach ging es mit "Neuland" gleich richtig zur Sache. Da durfte dann auch die Band das Publikum erblicken (und umgekehrt), der Vorhang fiel sozusagen. In der ersten halben Stunde räuberte sich Herbert erst mal durch sein aktuelles Hitalbum "Mensch", bis mit "Bochum" und "Männer" zwei seiner Klassiker die Halle endgültig zum kochen brachten. Und auch Herbert selber hatte in Rekordzeit sein Hemd durchgeschwitzt – kein Wunder, turnte er doch über die Bühne wie ein Derwisch und ließ sich nicht anmerken, dass er auch nicht mehr der Jüngste ist. Kein leichter Job für die Kameraleute, die Nervigerweise ständig um den Künstler rumwuselten.
Natürlich ließ er es sich bei "Bochum" nicht nehmen, die Textzeile "machst mit nem Doppelpass den FC Schalke nass" einzufügen, was ja in der Tat den Ereignissen der letzten Saison an gleicher Stelle entspricht. Zwischendurch kühlte Herbert die Partystimmung immer mal wieder mit einer ruhigen Nummer ab, z.B. "Unbewohnt" oder das zeitlos-schöne "Halt mich". Hier kam auch die Gastmusiker des Abends erstmals deutlich hörbar zum Einsatz. Zum einen war dies ein exzellenter Saxophonist, der allerdings ausgerechnet sein erstes Solo mit einem Rohrkrepierer abbrechen musste. Das machte er allerdings spätestens bei "Luxus" im Zugabenteil wieder wett. Außerdem war da noch ein feines kleines Streicherensemble, die einigen Liedern einen neuen Touch geben konnten. Die Streicher stellte Herbert im Zugabenteil vor, und zwar auf holländisch, da die Truppe aus eben diesem Land kam. Augenzwinkernd widmete er ihnen "Land unter" – bleibt zu hoffen, dass Herbert nicht nächstes mal Streicher aus Dresden auf der Bühne hat....
Schon nach anderthalb Stunden verabschiedete sich Grönemeyer vom Publikum, um dann in mehreren Zugabenteilen doch noch bis 23.30 zu spielen – man kam also auf seine Kosten. Einigen "Fans" allerdings war die drei Stunden Tortour scheinbar zu lang, denn gegen Ende des Konzerts lichteten sich die Reihen der Zuhörer doch schon ein wenig. Vielleicht kannten die früh Gegangenen die hartnäckigen Staus, die sich rund um die Arena immer dann bilden, wenn Großveranstaltungen zu Ende gehen.
In den drei Stunden gab es wie versprochen "das Beste von gestern bis Mensch", mit Hits wie "Vollmond" (immer noch Herberts bester Rock-Feger), "Alkohol" oder "Bleibt alles anders". Außer den schon erwähnten Balladen spielte er auch "Dort und hier" und vor allem "Der Weg", das Lied, das sich am deutlichsten mit dem Tod seiner Frau auseinandersetzen und bei dem man sich fragen kann, ob es mit seinem intimen Inhalt wirklich live vor 60000 Menschen gespielt werden muss. Verkehrt war es jedenfalls nicht. Das Publikum reagierte spürbar ergriffen, und auch für den Künstler scheint dieses Lied als Bewältigung des Erlebten zu funktionieren. Entweder Grönemeyer hat das Schauspielen noch nicht verlernt oder er hatte wirklich einen fetten Kloß im Hals, als er den Applaus nach dem Lied entgegennahm.
Kurz vor Ende des Konzertes ließ er es sich nicht nehmen, seine kritische und nicht gerade eingängige "Heimat" Hymne zu spielen. Das Publikum, das ihren Herbert zwischendurch minutenlang mit LaOla Wellen feierte, nahm es ihm nicht krumm. Aus dem Publikum kam auch der auf einem Plakat festgehaltene Wunsch nach dem "Currywurst" – Lied aus Herberts ganz früher Schaffensphase. Drei Anläufe und die Hilfe des Publikums brauchte Grönemeyer, bis er den Einstieg in das offensichtlich nicht vorbereitet Lied fand – schön, dass es auch in riesigen Hallen und bei ebensolchen Konzerten noch Spontanität gibt.
Als "Rauswerfer" gab es eine seltsame Version von "Der Mond ist aufgegangen" (der Autor kannte es jedenfalls nicht), die gewöhnungsbedürftig genug war, dass das Publikum gerne die Halle verließ.
Insgesamt also ein Super Konzert, schade, dass die "Mensch" Tour jetzt fast am Ende ist (es gibt noch Zusatzkonzerte in Berlin und Stuttgart). Hingehen !

Ergänzung zu der Kritik, die am 18.06.03 geschrieben wurde: Wenigstens hat es sich gelohnt, dass die Kameraleute ständig um Herbert schwänzelten: Die im November 2003 erschienene Mensch-Live DVD, die an den zwei Schalke-Abenden aufgenommen wurde, ist durchaus ansprechend. Schade, dass nur knapp 2 der 3 Konzertstunden ihren Weg auf den Silberling geschafft haben. Aber dafür ein Kompliment an den Schnitt: Man erkennt fast nie, wenn zwischen Sonntag- und Montagabend Konzert gewechselt wird (achtet mal darauf, wo Herbert beim Schluss von "Bleibt alles anders" steht). Und die Bilder der Steadycam sind zwar deutlich zu erkennen und gut, aber im Bild ist sie erstaunlicherweise nie.